Nov
29
2011

GEORGE HARRISON: ERINNERUNGEN AN EINEN BEATLE

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Vor zehn Jahren, am 29. November 2001, starb George Harrison in Los Angeles an den Folgen seiner Krebs-Erkrankung. Legacy Club würdigt den „stillen Beatle“. 

von Ernst Hofacker 

„Er war wie ein kleiner Bruder für mich.“ Paul McCartney sagte das einige Tage nach dem Tod seines ehemaligen Mitstreiters. Ein nettes Kompliment, das die Freundschaft des Älteren zu dem nur ein Jahr Jüngeren dokumentierte. Eine Bemerkung aber auch, die Harrison nicht wirklich gerecht wird, reduziert sie ihn doch, beabsichtigt oder nicht, einmal mehr auf den Junior-Partner, auf das alte Klischee vom „stillen Beatle“.

Vergleichsweise still mag er gewesen sein, der am 24. Februar 1943 geborene Sohn eines Liverpooler Busfahrers und ewige Benjamin der Fab Four – deren kreatives Ersatzrad war er mitnichten. So schwer es Harrison in den frühen Beatles-Jahren hatte, sich gegen das dominante Songwriter-Duo Lennon/McCartney durchzusetzen, so beharrlich arbeitete er an sich, und spätestens 1966 hatte er mit seinen Kompositionen das Niveau der Kollegen erreicht. Songs wie „Taxman“, „Here Comes The Sun“, „Something“ und „While My Guitar Gently Weeps“ gehören nicht umsonst zu den Glanzstücken im Beatles-Katalog.
Harrisons Einfluss indes ging weit über das Beisteuern gelegentlicher Kompositionen zum Beatles–Oeuvre hinaus, in der Rückschau kann man ihm ohne weiteres das Verdienst bescheinigen, die Popkultur für fernöstliche Elemente geöffnet und damit der Weltmusik den Weg bereitet zu haben. Bereits 1965 hatte er mit der Sitar ein bis dahin ganz und gar exotisches Instrument in die Popmusik eingeführt, zum ersten Mal zu hören auf „Norwegian Wood“. Dazu hatte der 1966 zum Hinduismus konvertierte Musiker erheblichen Einfluss auf die zum Ende des Jahrzehnts zunehmende Spiritualisierung der Jugendkultur.

Auch als Gitarrist ging Harrison seinen Weg. Zu Beginn der Beatles-Jahre noch hatte er sichGeorgeHarrison weitgehend darauf beschränkt, Vorbildern wie Chet Atkins und Carl Perkins nachzueifern. Später aber, als Gitarrengötter wie Jimi Hendrix und Eric Clapton mit virtuosen Soli die Szene beherrschten, setzte er ganz eigene Akzente, vor allem mit Hilfe des im Blues gebräuchlichen Slide-Röhrchens, das ihm half, einen charakteristischen, melodisch fließenden Stil auf der Leadgitarre zu entwickeln. Überdies war George Harrison der erste Beatle, der nach dem Split der Band eine höchst erfolgreiche Solokarriere launchen konnte. Sein Triple-Album „All Things Must Pass“ (1970) erlangte nachhaltigen Klassikerstatus, sein Soloalbum „Cloud Nine“ (1987) wurde zum weltweiten Hit und seine Zusammenarbeit mit der All-Star-Truppe Traveling Wilburys (feat. Bob Dylan, Tom Petty, Jeff Lynne und Roy Orbison) in den späten achtziger Jahren zum künstlerischen Highlight. Last but not least: 1971 veranstaltete der ehemalige Beatle im New Yorker Madison Square Garden mit „The Concert For Bangla Desh“ das erste große Benefizkonzert der Popgeschichte.

Manchmal entwickeln sich kleine Brüder zu ganz erstaunlichen Persönlichkeiten. Paul wusste das – und Millionen Beatles-Fans längst auch.

Pünktlich zu George Harrisons 20. Todestag hat der US-Kultregisseur Martin Scorsese nun in Zusammenarbeit mit dessen Witwe Olivia einen dreieinhalbstündigen Dokumentarfilm über das Leben des Musikers gedreht. Erhältlich ist das dreistündige Werk mit vielem bislang ungesehenen Material als einfache DVD und als Deluxe Version (inkl. 96-seitigem Buch plus CD mit unveröffentlichten Songs) unter dem Titel „Living In The Material World“. 

Ernst-Hofacker_sw2Zum Autor: Ernst Hofacker, Jahrgang 1957, hat als Redakteur unter anderem bei BRAVO, MUSIKEXPRESS und ROLLING STONE gearbeitet. Als Chefredakteur leitete er das Themenmagazin SOUNDS, im Frühling 2010 übernahm er GUITAR DREAMS. Gesprochen hat Hofacker im Laufe der Jahre mit Größen wie Ray Davies und Keith Richards. Dazu hat er diverse Bücher veröffentlicht, darunter das Standardwerk „Confessin’ The Blues – die Musik der Rolling Stones 1963-2010“. Im September erschien sein Buch “Giganten – Die legendären Baumeister der Rockmusik”