Feb
18
2011

RUMER, DIE NEUENTDECKUNG AUS ENGLAND, IM INTERVIEW

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Rumer im Interview: “Wenn Burt Bacharach dich auf dem Schirm hat, möchtest du ihnWaechter beeindrucken” . Seit sie im Herbst eine halbe Million Exemplare von ihrem Debütalbum Seasons Of My Soul verkaufte, gilt Rumer in England als neue Pop-Hoffnung. Tatsächlich gab es schon lange keine Sängerin mehr, die derart reife, berührende Songs zu bieten hatte. Im Interview spricht Rumer über ihre turbulente Biografie, die Macht der alten Lieder und ihre Audienz bei Burt Bacharach.

Von Johannes Waechter

Ein einziger Moment kann sinnbildlich für eine ganze Karriere stehen. Alles davor lief auf diesen Moment zu, der ein paar Minuten oder ein paar Stunden dauern kann; und alles danach ist bereits in ihm angelegt. Der große Moment der englischen Sängerin Rumer, 31, kam im vergangenen Frühjahr. Zehn Jahre lang hatte sie vergeblich versucht, im Musikgeschäft Fuß zu fassen, und nichts erreicht, außer mit einer vergessenen Indie-Band ein paar Songs zu veröffentlichen. Nun hatte sie jedoch mit dem Produzenten Steve Brown neue Lieder aufgenommen und wurde auf einmal in der englischen Musikbranche heiß gehandelt. Auf Umwegen gelangte ihr Demo in die Hände von Burt Bacharach. Kurz darauf rief ein Abgesandter des legendären Komponisten bei Rumer an: Ob sie nach Kalifornien kommen könne, um Bacharach vorzusingen?

Ein paar Wochen vorher hatte Rumer noch in einem Londoner Café Sandwiches serviert. Nun stand sie im Musikzimmer von Bacharachs Villa in Beverly Hills, und der 82-jährige Komponist begleitete sie am Flügel, während sie einen neuen, unveröffentlichten Song von ihm sang. Nach Jahren voller Selbstzweifel fühlte sie sich auf einmal stark und selbstbewusst. “Wenn Burt Bacharach sagt, dass du gut bist, dann muss das ja wohl stimmen.”

Im Herbst wurde ihr Debütalbum Seasons Of My Soul (Warner) in England zum Sensationserfolg. Über 500.000 mal hat sich die Platte bisher verkauft, was die Vermutung nahelegt, dass sich große Scharen von erwachsenen Musikfans inzwischen weder in der Retortenmusik des Mainstreams wiederfinden, noch in den zwanghaft um Hipness bemühten Klängen der Indiebands. Denn Rumers Erfolgsrezept ist erschreckend einfach: Sie schreibt Songs, die den Hörer berühern. Ihre Poesie ist keine der Abstraktion und Vernebelung, sondern der maximalen emotionalen Wirkung. Mit Hilfe von schimmernden Popsoul-Arrangements und ihrer ausdrucksstarken Stimme entstand so ein Album, das aus einer Parallelwelt zu stammen scheint — einer, in der Pop noch mehr bedeutet, die Menschen stärker gefangen nimmt, als das heute üblich ist.

Rumers Album hat in mir den Verdacht neu belebt, dass viele junge Bands leider nicht besonders viel zu sagen haben. Natürlich dürfen Poptexte unterschiedliche Komplexitätsgrade haben, aber wenn ich höre, wie Rumer mit einfachen Worten Geschichten erzählt und ins Herz trifft, bin ich umso enttäuschter von den vielen, teilweise hochgelobten Bands, die uns irgendein bedeutungsschwangeres Kauderwelsch als der Weisheit letzten Schluss zu verkaufen versuchen.

Oft scheint mir der beschränkte persönliche Erfahrungshorizont von solchen Bands verantwortlich für den geringen Gehalt der Texte zu sein. Im Gegensatz dazu hat Rumer ein vergleichsweise ereignisreiches Leben geführt: Sie wurde in Islamabad, Pakistan als siebtes Kind eines britischen Ingenieurs geboten, erfuhr jedoch im Alter von 11 Jahren, dass sie tatsächlich die Tochter des pakistanischen Kochs der Familie ist. Auch der Tod ihrer Mutter im Jahr 2003 und die lange Zeit der Erfolglosigkeit sind biographische Marken, die sie in ihren Songs verarbeitet. Ich traf Rumer vor kurzem in Hamburg und habe sie gleich als erstes auch dazu befragt.

Rumer, in Interviews haben Sie von Anfang an ziemlich private Dinge erzählt. War das schwierig für Sie?

Manchmal schon. Andererseits verrät mein Album sehr viel über meine Gefühlswelt. Wie könnte ich mich da verstecken?

Sie sprechen zum Beispiel über die Tatsache, dass Sie die Tochter des pakistanischen Kochs Ihrer Familie sind, der damals eine Affäre mit Ihrer Mutter hatte.

Natürlich habe ich mich gefragt, ob ich so etwas in den Medien erwähnen soll. Aber es ist nun mal die Wahrheit, und ich habe keine Lust mehr, mich dafür zu schämen. Es ist immer besser, offen und ehrlich zu sein. Über die eigenen Verletzungen zu reden finde ich mutiger, als diese mit guter Laune zu überspielen.

Welche Charakterzüge haben Sie von Ihrem pakistanischen Vater geerbt?

Hartnäckigkeit, Geschäftssinn, eine gewisse Unnachgiebigkeit. Bostan Khan, der später mein Vater wurde, ist auf dem Fahrrad quer durch Pakistan gefahren, um Arbeit zu finden. Ich bin genauso. Ich habe zehn Jahre lang erfolglos versucht, im Musikgeschäft Fuß zu fassen, und mich in dieser Zeit mit allen möglichen Jobs über Wasser gehalten. Aber es hat mich nicht gestört, zu kellnern oder Geschirr zu spülen. Mein Vater war ein Dienstbote, ich habe etwas davon in mir.

Was hat Ihre Eltern eigentlich nach Pakistan verschlagen?

Das war ein von der Weltbank gefördertes Staudamm-Projekt namens Tarbela. Ein riesiger Staudamm am Indus. Es gab eine internationale Kolonie für die ganzen Ingenieure und ihre Familien, dort haben wir gelebt. Kürzlich habe ich gesehen, dass sich viele der Kinder, die dort aufgewachsen sind, zu einer Facebook-Gruppe zusammengeschlossen haben. Die sagen, das wäre die schönste Zeit ihres Lebens gewesen.
Haben Sie ähnlich schöne Erinnerungen an Pakistan?

Ich war noch klein, als wir zurück nach England gezogen sind. Da hatte Pakistan noch nicht so eine Bedeutung für mich und ich habe mich schnell angepasst. Ich weiß allerdings noch, dass ich mich in England manchmal fremd gefühlt habe, weil meine Haut und meine Haare dunkler waren als bei den anderen Kindern. Ich kam mir anders vor als die anderen.

Die farbigste Episode aus Ihrer Biografie geht so: 2003 lag Ihre Mutter im Sterben und Sie sind in ihre Nähe gezogen, um sie zu unterstützen. Während dieser Zeit haben Sie in einem Wohnwagen gewohnt, der auf einem Schrottplatz stand – und dort angefangen, Lieder zu schreiben. Stimmt das wirklich?

Ja, der Wohnwagen war in der Zeitung inseriert. 65 Pfund pro Woche. Wenn ich morgens rausgekommen bin, stand da ein Mann und hat an einer alten Waschmaschine rumgeklopft. Zuerst war ich einsam dort, aber dann habe ich es geliebt. In diesem Wohnwagen begann ich, ein kreativer Mensch zu werden.

Erklären Sie bitte genauer, wie das vor sich geht.

Man braucht ein Gefühl für das, was man sagen will. Oder irgendeinen Impuls, der einen antreibt. Dann setzt man sich hin und fängt an zu improvisieren. Das, was dabei herauskommt, überarbeitet man wieder und wieder, wie bei einer Skulptur, wo man immer mehr vom Stein wegmeißelt. Aber die Kreativität hat auch etwas mysteriöses. Letztlich weiß man nicht genau, wo sie herkommt, und das kann einen ziemlich verunsichern.

Dennoch haben Sie ein Jahr lang nur Coverversionen gesungen, nachdem Sie Ihren Produzenten Steve Brown kennengelernt haben. Warum? 

Ich war total enttäuscht vom Musikgeschäft. Ich hatte vergessen, warum ich das überhaupt machen wollte. Also haben ich Steve gefragt, ob wir einfach nur das spielen wollen, was uns Spaß macht. So haben wir unseren Sound gefunden.

Was für Songs haben Sie in dieser Zeit gespielt?

Alles mögliche. Viele Lieder aus alten Filmmusicals und Broadway-Shows. Songs von Judy Garland und Julie Andrews. Das war wie eine Therapie für mich. So konnte ich das wiederfinden, was ich liebe.

Der Sound Ihrer Platte ist ein bisschen altmodisch, aber insgesamt wirkt sie trotzdem zeitgemäß. Wie bekommt man diese Balance hin? 

Ich denke, die Melodien sind frisch und die Text sind sehr relevant und aktuell. Die Arrangements haben eine Wärme, die man aus den Sechzigern und Siebzigern kennt, aber das vor allem deshalb, um der Platte eine freundliche Anmutung zu geben. Denn tief unten ist meine Platte ziemlich düster. Mein Anliegen ist es, komplexe emotionale Vorgänge zur kommunizieren, durch einfache Sprache und zugängliche Musik. Generell liebe ich Musik, auf die das zutrifft – warme, romantische Klänge, die dich umfangen und an einen anderen Ort transportieren, aber dabei von starken und wahren Gefühlen berichten.

Solche Musik gibt es heute nicht mehr so oft. 

Denken Sie nur an Motown. Das war Popmusik, die oben in den Charts stand, aber anspruchsvolle, universelle Themen behandelte. Ich weiß auch nicht, warum das verschwunden ist. Vielleicht geht es generell bergab mit unserer Kultur.

Welche Künstler haben Sie beeinflusst?

Laura Nyro. Joni Mitchell. Die Mamas & Papas. Judy Garland. Barbra Streisand. Carole King und Gerry Goffin. Burt Bacharach und Hal David. Ich bin ein bisschen altmodisch.

Bacharach haben Sie bereits persönlich kennengelernt. Wenn ich mir dieses Treffen ausmale, muss ich an die Eleganz der alten James-Bond-Filme denken. 

Es war genauso, wie man sich das vorstellt. Ich stand in seinem Musikzimmer, draußen schien die Sonne auf seinen wunderbaren Garten, er saß auf seinem Sofa, während ich die Noten studiert habe. Dann hat er sich an den Flügel gesetzt und wir haben zusammen Musik gemacht. Als ich wieder auf der Straße stand, habe ich den dringenden Wunsch verspürt, eine noch viel bessere Musikerin zu werden. Wenn Burt Bacharach dich auf dem Schirm hat, möchtest du ihn beeindrucken.

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass “Aretha“ mein Lieblingssong auf Ihrem Album ist: Ich finde es toll, wie Sie die heilende Kraft der Musik betonen. 

Ja, in dem Song geht es darum, wie Musik dir in schwierigen Zeiten helfen kann. Aretha ist die große Mutter, die Königin. Die Queen of Soul.

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Johannes Waechter, 1969 geboren, stammt aus Berlin und war Mitte der Neunziger Musikredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Zitty. Seit 1999 ist er Redakteur beim SZ-Magazin, wo er in den Jahren 2005 und 2006 zusammen mit Philipp Oehmke die Süddeutsche Zeitung Diskothek herausgegeben hat, eine 52-bändige Buch/CD-Reihe zur Geschichte der Popmusik. In diesem Blog geht es nicht nur um das derzeitige Popgeschehen, sondern vor allem um den großen Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Musik, inspiriert von Bob Dylans Worten: “It’s always good to know what went down before you, because if you know the past, you can control the future.”.