Feb
9
2011

AMOS LEE UND SEIN ERFREULICHER MINUSREKORD

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Der Songwriter Amos Lee hat es mit seinem neuen Album Mission Bell bis an die Spitze waechter_blogder Billboard-Charts geschafft. Viele Platten verkaufen musste er dafür allerdings nicht.

Von Johannes Waechter

Erstaunliches spielt sich gerade in den US-Charts ab. Seit letzter Woche steht Amos Lee auf Platz eins der Billboard 200. Lee ist ein Songwriter mit Country-Einschlag aus Philadelphia, bisher war er nur Eingeweihten bekannt. Auf Platz zwei folgt Iron And Wine, das Projekt von Sam Beam, einem zauselbärtigen Americana-Helden aus Austin (der zufälligerweise sogar einen Gastauftritt auf der Platte von Amos Lee hat). Auf Platz sechs stehen Mumford & Sons, auf Platz zehn die Decemberists, eine Folkrock-Band aus Portland. Haben Americana-Künstler also ab sofort als die neuen Topseller der US-Musikbranche zu gelten?

Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Der Rolling Stone weist auf einen kuriosen Neues_Bild2Umstand hin: Noch nie ist ein Künstler mit so wenig verkauften Platten auf Platz eins der Billboard-Charts gelangt wie Amos Lee: 40.000 Exemplare von Mission Bell reichten für den Platz an der Sonne. Damit unterbot Lee den bisherigen Negativrekord, den Cake erst vor zwei Wochen aufgestellt hatten, noch mal um 4000 Exemplare. Nun ist der Januar generell ein umsatzschwacher Monat, dennoch dürften anhand solch bescheidener Zahlen bei den Plattenfirmen wieder mal die Alarmglocken läuten.

Interessant finde ich nun, dass Songschreiber wie Lee und Beam noch vergleichsweise gut mit der Krise umgehen können. Offensichtlich gelingt es Künstlern, die über ihre Songs mit den Hörern kommunizieren, viel touren und über mehrere Platten hinweg ein Gesamtwerk aufbauen, durchaus noch, ihr Publikum zum Kauf eines Albums zu motivieren. Während der Mainstream-Sound oft als ziemlich wertlos empfunden wird, fühlen die Fans bei Künstlern wie Amos Lee anscheinend noch die Verpflichtung, ihn durch Kauf der Platte ganz konkret materiell zu unterstützen. So hat sich Mission Bell in der ersten Woche mehr als doppelt so oft verkauft wie Lees Vorgängeralbum Last Day At The Lodge.

Nicht unwichtig außerdem: Mission Bell ist einfach ein gutes Album. Lee hat die Platte in Tucson, Arizona aufgenommen, Joey Burns von Calexico hat sie produziert, und so wehen gelegentlich Elemente von Calexicos typischem Wüstensound durch Lees Songs, wie wenn im Opener “El Camino” gegen Ende eine traurige Mariachi-Trompete ertönt. Auch die Gäste Lucinda Williams und Willie Nelson verbreiten auf die ihnen eigene Art das Gefühl von melancholischer Weite und glühendem Wüstensand.

Lee ist jedoch kein Mann ohne Rückgrat, der nach ein paar Tagen in Tucson umgehend Neues_Bild3zum Wüstensohn geworden wäre. Ebenso stark wie der Einfluss von Calexico ist auf Mission Bell auch der Einfluss von Bruce Springsteen zu hören, zum Beispiel auf der Single “Windows Are Rolled Down”, die im bossigen Breitwandformat das Autofahren zelebriert.

Ein weiteres Vorbild ist Bill Withers, dessen alter Drummer James Gadson auf Mission Bell mitspielt. In dieser Interviewpassage über Withers’ Doppelalbum Live At Carnegie Hall spricht Lee ausführlich darüber, wie ihn der große Soulmann geprägt hat: “Sometimes when you hear recordings and those kinds of works, they get inside of you and they excavate. There’s this kind of movement inside of you and I don’t know if it’s in the heart or the head but it excavates a part of you that now has to be filled. So now it’s your duty to fill that space. It does that for you and you can choose whatever you want to put in there. In my case, I just kept on writing songs and tried to become a better writer. And I still am. That space that those works hollowed, I’ll never be able to fill. But it’s knowing that that space is there now and having a commitment to filling it.”lso ab sofort als die neuen Topseller der US-Musikbranche zu gelten?

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Johannes Waechter, 1969 geboren, stammt aus Berlin und war Mitte der Neunziger Musikredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Zitty. Seit 1999 ist er Redakteur beim SZ-Magazin, wo er in den Jahren 2005 und 2006 zusammen mit Philipp Oehmke die Süddeutsche Zeitung Diskothek herausgegeben hat, eine 52-bändige Buch/CD-Reihe zur Geschichte der Popmusik. In diesem Blog geht es nicht nur um das derzeitige Popgeschehen, sondern vor allem um den großen Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Musik, inspiriert von Bob Dylans Worten: “It’s always good to know what went down before you, because if you know the past, you can control the future.”.